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Wie sichern wir die Mitarbeiter-Nachfolge in der grünen Branche?

Zukunft gestalten durch Finden und Binden

von Erwin Germann

„Wer heute in der Personalfrage das Gleiche macht wie bisher, macht zwangsläufig etwas falsch."

Mitarbeiter-Nachfolge: Teil 1 der TASPO-Serie zum Fachkräftemangel mit Personalprofi Erwin Germann. (Teil 2, Teil 3)

Was passiert, wenn nicht mehr die Firma ihre künftigen Mitarbeiter auswählt, sondern sich als Möchte-gern-Arbeitgeber förmlich bei der potenziellen Fachkraft bewerben muss? Schon jetzt erlebt die Grüne Branche enorme Engpässe. In unserer TASPO-Serie gibt Personalexperte Erwin Germann Antwort auf die Frage: Wie können die Betriebe ihre Mitarbeiter-Nachfolge sicherstellen?

„Ich kenne aktuell keinen Betrieb, der optimal besetzt ist, Fachkräfte werden händeringend gesucht. Bei uns laufen täglich Anfragen ein, ob wir noch Kandidaten hätten! Der Markt ist leer und die guten Mitarbeiter sind in festen Arbeitsverhältnissen. Der Kampf um Fachkräfte ist in vollem Gange, die Situation wird sich weiter verschärfen", beobachtet Erwin Germann.

Erst agieren, wenn ein konkreter Personalbedarf aufgetreten ist? Das ist von gestern. Heute ist die Personalsuche ein Dauerprozess. In einer Zeit, da nur sehr teure oder aber gar keine Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt erhältlich sind, müssen die Betriebe frühzeitig aktiv werden – und bleiben.

Denn die guten, karrierebewussten, mobilen, flexiblen und erfahrenen Fachkräfte sind in ihrer Region bekannt, haben einen guten Ruf – und relativ geringe Wechselbereitschaft: „Werden sie aktiv von Personaldienstleistern angesprochen, sind sie geschmeichelt und nutzen oft das Angebot, um ihren aktuellen Marktwert zu checken, d. h. mit dem aktuellen Arbeitgeber neu zu verhandeln", schildert Germann.

So treibt der Kampf um die wenigen Guten die Gehaltsvorstellungen in Höhen, die in vielen Firmen gar nicht realisierbar sind. Binden sich die potenziellen Bewerber mit der Aus­sicht auf Verbesserung an Personaldienstleister, blockiert dies jede weitere Veränderung – und verkleinert den Kandidaten-Pool erneut. Weniger als 10 % aller Bewerbungen gehen heute noch initiativ ein.

Der Problem-Check: Fachkräftemangel?

  • 25 % aller Mitarbeiter sind heute zwischen 55 und 65 Jahre alt, d. h. sie werden dem Betrieb bereits innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht mehr zur Verfügung stehen.
  • Beschäftige, die jeweils nur 40 Stunden arbeiten, müssen im Verkauf regelmäßig 60 Stunden Öffnungszeit und das komplette Saisongeschäft abdecken.
  • Die Wechselbereitschaft qualifizierter Leute liegt unter 40 %.
  • Hohe Gehälter, die vorverhandelt sind und mit der Betriebszugehörigkeit wachsen, können sich Firmen in Zukunft nicht mehr leisten. Hier gilt es, anders zu verhandeln und nach Leistung zu bezahlen.
  • Das gesamte Thema Innovation ist in der Gartenbau-Branche Chefsache. Doch Innovationsfähigkeit kann in Zukunft nur steigen, wenn mehr Mitarbeiter in Entscheidungen einbezogen werden und mitgestalten.
  • Sobald ein konkreter Personalbedarf auftritt, reagiert der Betrieb. Überleben kann jedoch in Zukunft nur derjenige, der die Personalsuche als Dauerprozess begreift und betreibt.
  • „Kennst du einen, kennst du alle!" Weit gefehlt: Heute bilden Azubis, Fachkräfte und vielfach auch Quereinsteiger das Team der Zukunft.
  • „Ankommen, reinschmeißen, überleben!" So wurde oft ein erfolgreicher Start in einem Betrieb beschrieben – heute nicht mehr.
  • Investitionen von 5 % des Umsatzes in Werbung und Marketing sind an der Tagesordnung; Gleiches gilt in Zukunft für die Weiterentwicklung und Qualifizierung der Mitarbeiter zur Existenzsicherung.

Die Lösung: Zukunft gestalten durch Finden und Binden

Welche Branche ist angesagt, wohin zieht es junge Menschen? Die Branchenverbände wissen, wie wichtig das Berufsbild ist, um Nachwuchs zu generieren, und starten regelmäßig Imagekampagnen. Doch damit ist die Botschaft noch längst nicht in der Region und vor allem vor der eigenen Haustür angekommen! Hier ist jeder Betrieb selbst gefragt.

Und genau hier besteht laut Germann Handlungsbedarf: 70 % der potenziellen Auszubildenden wissen gar nicht, welche suchenden Betriebe es im Umkreis von 10 Kilometern gibt, hat das Projekt „Ausbildung direkt!" aufgezeigt. „Wenn ich nicht präsent bin und signalisiere ‚Ich suche dich!', bewirbt sich der junge Mensch beim Wettbewerber am anderen Ende der Stadt", lautet die Konsequenz.

Beständig Signale senden

Erfolgreiche Mitarbeitersuche ist ein Dauerprozess, so das Credo des Personalentwicklers: „Senden Sie beständig Signale: Ich suche!" So eine Ansprache kann natürlich digital und auf der eigenen Website erfolgen, aber auch sehr direkt z. B. im Geschäft als Plakat an der Kasse gut wahrgenommen werden. Die Trefferquote ist hoch, denn Freunde, Familie oder Nachbarn werden dem potenziellen Interessenten sicher berichten.

Drei Ansprachen – drei Zielgruppen

„Kennst du einen, kennst du alle in der Branche? Das war früher", erläutert Germann. Heute müsse man drei Zielgruppen ganz unterschiedlich ansprechen:

  1. Auszubildende: Hier gilt es, zunächst Interesse für den Beruf und die Branche zu wecken – und zwar jugendgerecht: „Wir suchen dich!"
  2. Quereinsteiger haben Spaß am Umgang mit Pflanzen und beruflicher Veränderung, aber Angst vor dem Risiko. „Ihnen müssen Sie Mut machen, den ersten Schritt zu wagen", so Germann.
  3. Fachkräfte gehen nicht selbst ins Geschäft, daher lohnt hier vor allem der Appell an ihr Umfeld: „Sie kennen einen, der …?" Als Anreiz könnte ein erfolgreich empfohlener Kontakt z. B. per Warengutschein belohnt werden.

Von Mensch zu Mensch

Was interessiert den möglichen Bewerber? Mehr noch als über die Produkte will er über die Menschen – die künftigen Chefs und Kollegen – im Hause erfahren: Wie viele sind es, welche Stimmung herrscht, wie sind die Abteilungen organisiert? Kenne ich dort vielleicht schon jemanden? „Auf diese Bedürfnisse müssen Sie eingehen, vor allem visuell", betont der Personalentwickler. Zwei gelungene Beispiele:

„Unsere Stars für Sie": Professionell fotografiert und in Szene gesetzt werden Mitarbeiter zu Stars und Botschaftern des Hauses. Sie sprechen direkt von Website, Plakat oder Aufsteller: „Ich verkaufe gerne Pflanzen, weil ..."

„Sommer, Sonne, Eiszeit": An einem Sommertag einen Eiswagen bestellen und die eigenen Mitarbeiter einladen, beim unbegrenzten Eisessen Spaß zu haben. „Das ergibt überaus sympathische Fotos für die Bewerberansprache", weiß Germann. „Durch dieses Projekt sind über 150 Bewerbungen eingegangen."

Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance

Ist ein Betrieb digital als potenzieller Arbeitgeber aufgefallen, besuchen viele der Interessenten diesen zunächst anonym, bevor sie sich bewerben. „Wir dürfen unsere Betriebe nicht im sterbenden Zustand zeigen", appelliert der Profi. „Präsentieren Sie einen zukunftsfähigen Gartenbaubetrieb, ein sauberes Gelände und Ihre aktuellen Auszeichnungen. Man sieht es, wenn in den letzten 20 Jahren nur gespart und nicht investiert wurde – das schreckt ab. Wenn das virtuelle und reale Bild authentisch sind, gewinnen Sie!"

Oftmals schickt das Germann-Team selbst im Zuge von Beratungen potenzielle Kandidaten anonym in den Betrieb. Das Ergebnis bestürzt: Der Großteil würde dort nicht arbeiten wollen. Hier steckt Potenzial: „Legen Sie größten Wert auf das äußere Erscheinungsbild. Und präsentieren Sie Bewerbern gleich beim ersten Gespräch einen sauberen, ansprechenden Aufenthaltsraum."

Wer jetzt anfängt, Signale zu senden, baut sich mit der Zeit einen sogenannten „Bewerber-Pool" auf und kann bei akutem Bedarf aus dem Vollen schöpfen: „Mancher hat sich schon mal beworben, kam aber damals nicht in Frage. Behalten Sie interessante Kandidaten im Auge: Sobald dieser Eine gebraucht wird, ist der wertvolle Kontakt schon da", schildert Germann.

Der erste Tag: Das „Ankommen" gestalten

Der erste Tag des neuen Kollegen und keiner weiß Bescheid – ein Szenario, dass tatsächlich viel zu häufig vorkommt. „Ankommen – reinschmeißen – überleben, das hat keine Daseinsberechtigung mehr", ist Germann überzeugt. „Wer junge Menschen und Quereinsteiger für sich gewinnen will, muss die Menschen abholen und vom ersten Arbeitstag an ein attraktives Grundumfeld schaffen."

Dazu zählen: Ein Einarbeitungsplan mit festen Zuständigkeiten und ein zunächst intensiver Kontakt zum Chef oder Teamleiter mit einer Bindung, die zunehmend vom Team übernommen wird. Nach der Probezeit sollte ein Übernahmegespräch klären: Wo stehe ich, wie zufrieden ist man mit mir?

Mitarbeiter: Die wichtigste Pflanze des Unternehmens

Früher fielen schon mal Sätze wie „… sollen zufrieden sein, dass sie überhaupt Arbeit haben!" Der Wettbewerb zwischen den Arbeitgebern führt diese „Strategie" ad absurdum. „Mitarbeiterbindung ist das Schlüsselwort – hier geht es um Wohlfühlfaktoren", erläutert Germann. „Da müssen wir investieren. Gerade im Gartenbau weiß man: Wer nicht sät, kann nicht ernten. Also pflegen Sie Ihre wichtigste Pflanze – die Mitarbeiter!"

Zunächst fremde Mitarbeiter bilden in einem Betrieb eine Zwangsgesellschaft, die erst als Team zusammenwachsen soll. „Teambuilding und Betriebsklima werden der Überlebensfaktor der Zukunft sein", so Germann.

Teambuilding und Betriebsklima

Wie wichtig Teambuilding für Betriebsklima und Unternehmenserfolg ist, zeigt sich vor allem im Saisongeschäft, das die Grüne Branche in besonderer Weise erlebt: Hochsaison heißt Höchstleistung unter Dauerbelastung. „Wenn jeder an seine Grenzen gehen muss, zeigt sich, inwieweit ein Team zusammengewachsen ist", so Germann. Wie im Sport bringt nur das eingespielte Team Höchstleistungen und bewahrt Nervenstärke.

Teambuilding-Maßnahmen haben sich als Investition erwiesen, die sich klar im Betriebsergebnis niederschlägt. Denn sie fördern das Leistungsvermögen, die Bereitschaft und die Zufriedenheit – der Einzelne verkraftet Belastungen als Teil eines funktionierenden Teams viel besser.

Wie die Personalsuche ist auch die professionelle Teamentwicklung ein Dauerprozess: „Mindestens einmal im Jahr muss hier etwas passieren, das Spaß macht und das Team weiterbringt", rät der Profi. Ein externer Team-Trainer sucht dabei auch gezielt Situationen, in denen potenzielle Führungskräfte bereits auf sich aufmerksam machen. Dann kann die nächste Stellenausschreibung vielleicht schon intern erfolgreich sein!

Arbeitszeit

Gerade in der Grünen Branche ist es wichtig, für die Beschäftigten einen Ausgleich zum Saisongeschäft und zu langen Öffnungszeiten zu schaffen:

Kurze und lange Wochenenden im Wechsel, d. h. entweder nur sonntags oder aber drei Tage frei.
Rufbereitschaft in Übergangszeiten, um je nach Kundenfrequenz reagieren zu können.
Jahresarbeitszeitkonten.

in: TASPO Nr. 25, 19.06.2015